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Gedanken zur nicht stattgefundenen Vernissage

einer nicht zustande gekommenen Ausstellung

Warum es keine Bilder 40 Jahre nach meiner ersten berührender Böhmerwaldreise gibt


Der Blog rund ums Deutsche Kameramuseum - Oktober 2016


Ein Bild für das Familienalbum: Franz, Rosa und Kurt Tauber posieren 1976 mit Kurts Käfer-Cabrio vor dem Elternhaus von Rosa Tauber, geborene Prinz, in Kleinziegenruck,  Böhmerwald (heute Malý Kozí Hrbet, Tschechien). Foto: privat


Von Kurt Tauber

 

Der Oktober 2016 neigt sich dem Ende zu, das Wetter ist unfreundlich und ich bin mal wieder im Krankenhaus. Damit gibt es überhaupt keine Chance mehr für mich, eine Ausstellungsidee zu verwirklichen, mit der ich seit Monaten schwanger gehe. Was bei meiner angegriffenen Gesundheit absehbar war. Ganz private Gedanken zu einer nicht stattgefundenen Vernissage einer nicht zustande gekommenen Fotoausstellung im Deutschen Kameramuseum.


Vor ziemlich genau 40 Jahren, im Oktober 1976, unternahm ich als tatendurstiger junger  Journalist von 25 Jahren und braver Sohn eine aufwühlende Zeitreise zusammen mit meinen Eltern Rosa und Franz Tauber in ihre alte Heimat, in den Böhmerwald. Anlass war die 30-jährige Wiederkehr der Tage, an denen meine Mutter mit meiner gerade ein Jahr alten Schwester Kristina und mit ihrer Familie ihren Heimatort Kleinziegenruck (heute: Malý Kozí Hrbet), ein winziges Dorf unweit von Schüttenhofen, in einem Viehwaggon per Güterzug verlassen musste: Die Tschechen schoben die deutschstämmigen Bewohner der grenznahen Siedlungen in Böhmen rücksichtslos über die Grenze zur amerikanischen Zone Deutschlands ab. Angehörige der eigenen Bevölkerung übernahmen Haus und Hof, Vieh und Erntevorräte. Meine Mutter und ihre restliche Familie – der Vater im Rentenalter, die Mutter, eine Schwester (die Brüder befanden sich noch in russischer Kriegsgefangenschaft) – durften gerade mal eine Holzkisten mit einem Zentner Hausrat, etwas Bettwäsche und den Kinderwagen mitnehmen. Das war wie gesagt 1946, ein Jahr nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Ein traumatisches Erlebnis, das das Gefühlsleben meiner Mutter, heute fast 95 Jahre alt, - mein Vater starb 1981 mit 62 Jahren – bis heute prägte und tagtäglich umtreibt.


Franz und Rosa 1976 mit nostalgischem Blick am alten eisernen Flurkreuz, auf der Hälfte der Wegstrecke zwischen den beiden Dörfern. Einst Treffpunkt des jungen Franz Tauber aus Großziegenruck und seiner Rosa Prinz aus Kleinziegenruck. Fotos: Kurt Tauber


Der Fall des Eisernen Vorhangs war 1976, immerhin 30 Jahre nach der Vertreibung, noch nicht abzusehen, eine touristische Reise in die alte Heimat in der damaligen Tschechoslowakei als Heimatvertriebener reichlich aufregend. Und ich, ein 1951 im Westen geborener Journalist! Irgendwann bekamen wir nach mehrwöchiger Wartezeit über ein Amberger Reisebüro unsere Visa in die Reisepässe und der Ausflug in die Vergangenheit konnte starten.

 

Meine Eltern führten mich zu den Stätten ihrer Kindheit (mein Vater stammte aus dem Nachbardorf Großziegenruck, heute Velky Kozí Hrbet), zeigten mir, wo sie sich heimlich zum Stelldichein trafen, suchten und fanden die Marterl und Kleindenkmäler, die im Wald und auf der Flur verteilt waren. Wir entdeckten einen riesigen, grob behauenen Feldstein in einer Mauer mitten im Wald (ehemals ein Acker), auf dem mein Großvater mütterlicherseits in Großbuchstraben seinen Namen eingemeißelt hatte: „A. PRINZ“.

 

Das A seht für Alois. Alois Prinz ist 1968 mit 97 Jahren als Analphabet und von allen Enkeln geliebter Bilderbuch-Opa in seiner neuen Heimat Dorfprozelten am Main gestorben. Er besaß zeitlebens keinen Fernseher, kein Radiogerät, hat nie in seinem Leben telefoniert und hat, so weit ist das glaubwürdig überliefert, nie ein Krankenhaus gesehen – jedenfalls nicht von innen.

 

Ich fotografierte also im Böhmerwald wie ein Weltmeister, was meine Kameras und die Diafilme hergaben. Zum Nachdenken kam ich erst später. Höhepunkt der zweitägigen Abenteuerfahrt mit dem VW-Käfer-Cabrio über zerstörte Feldwege, über Stock und Stein: Wir drei übernachteten im Elternhaus meiner Mutter, das sich äußerlich kaum verändert hatte. Strom und fließend Wasser gab es immer noch keines – Wasser kam aus dem eigenen Brunnen und die Trafostation 500 Meter weiter war im Krieg abgebrannt und nicht wieder aufgebaut worden. Im Garten stand etwas abseits ein unbeleuchtetes Häuschen mit Herzchen in der Tür…

 

Beim Schein einer Petroleumlampe stiegen wir die alte Holzstiege hinauf unters Dach ins „Gästezimmer“ und versuchten zu schlafen. Eine Flasche Bier von der freundlichen Vermieterin half, die nötige Bettschwere zu erlangen. Irgendwann verstummten die wehmütigen Gespräche und wir schliefen ein.


Küche, Wohnzimmer, gute Stube, Schlafzimmer, Werkstatt - in den alten Böhmerwaldhäusern spielte sich das Leben meist in der Wohnküche ab. Die Möblierung im Elternhaus meiner Mutter war natürlich 1976 längst nicht mehr original, auch der Kachelofen war über die Jahre verändert worden.


Heute, 40 Jahre später, schreit dieses „Jubiläum“ nach einer neuen Exkursion in den Böhmerwald, nach Klein- und Großziegenruck, Innergefild und Außergefild, auf den Zwoischen, nach Unter- und nach Bergreichenstein -  wie die Dörfer und Kleinstädte damals noch hießen.

 

Ich hätte gerne, wenn auch ohne meine Eltern und ohne meine Schwester Kristina (71), die sich mit so einer Fahrt inzwischen auch schwer tun würde, alles noch einmal fotografiert: die Marterl, die alten Hütten (sofern noch vorhanden), den Ausblick auf die Kälberweide (sofern noch nicht von inzwischen 40 Jahre altem Hochwald verdeckt), das Elternhaus meiner Mutter mit der in den 1990er Jahren renovierten Kapelle davor (das Haus soll man angeblich nicht wieder erkennen, es sei zu Tode modernisiert worden, heißt es). Den Namenszug „A. PRINZ“, der vermutlich inzwischen wieder unter dem wuchernden Moos verschwunden ist. Das ehemalige Schulhaus auf halber Strecke zwischen den beiden Dörfern…


Es gibt übrigens weitere Aufnahmen, die in die Ausstellung passen würden: 1996, also, wie ich jetzt bemerke, zufällig 20 Jahre nach der ersten Böhmerwald-Fahrt aufgenommen, als die Kapelle in Kleinziegenruck mit Spendengeldern auch der Heimatvertriebenen renoviert wurde und aus diesem Anlass ein Treffen der früheren Ortsbewohner zur Kirchweih an Bartholomäus organisiert wurde. Hier stehe ich vor dem Elternhaus meiner Mutter.


Heuer im Herbst hätte ich also gerne mit den Fotos eine Ausstellung im Deutschen Kameramuseum in Plech gestaltet. Den Bildern von 1976 und 1996, wo möglich, die Aufnahmen von 2016 gegenüber gestellt – identische Motive aus nahezu identischen Perspektiven im Abstand von genau 40 beziehungsweise 20 Jahren aufgenommen - 70 Jahre, nachdem meine Mutter ihre Heimat hat verlassen müssen.

 

Aber es hat nicht sollen sein. Das mit den genau 40 Jahren klappt jedenfalls nicht mehr. Und ob ich die Reise in die Vergangenheit 2017 nachholen kann? Der Gag wäre dann aber natürlich hin. Pech gehabt! Der Geist war willig, aber die Myasthenia gravis macht schwach.

 

Vielleicht klappt es in zehn Jahren zum „50-jährigen Reisejubiläum“. Dann wäre ich 75 und vielleicht wenigstens noch fähig, eine Foto-Drohne zu steuern…


Nachtrag Herbst 2019:


Meine Mutter Rosa Tauber ist 97-jährig verstorben und ich habe die Reise in die Vergangenheit immer noch nicht geschafft...


Meine Mutter Rosa Tauber im Jahre 1996, 50 Jahre nach der Vertreibung, vor ihrem Geburtshaus in Kleinziegenruck (Böhmerwald), das sie 1946 überstürzt verlassen musste.


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